Das Bühnenbild ist eine mit Graffiti besprühte Mauer. Man muss genau hinschauen, um zu erkennen, dass die künstlerisch verfremdeten Buchstaben einen Namen ergeben.
“Da steht Marie, aber das Stück heißt doch Woyzeck”, sagt Schülerin Lea. Die junge Theaterbesucherin ist nicht nur zum Vergnügen in der Stadthalle. Georg Büchners Drama “Woyzeck” ist auch Klausurstoff.
Schülerin Lea hat auf jeden Fall den Kern der Woyzeck-Inszenierung des Theaters Lindenhof voll erfasst. In der Inszenierung von Regisseurin Edith Ehrhardt rückt eine Nebenfigur ins Schlaglicht des Woyzeck.
Als Woyzeck 1877 ziemlich genau 40 Jahre nach Büchners Tod erschien, war es eine Sensation. Georg Büchner hatte 1836 mit dem Woyzeck begonnen, ihn aber wegen seines frühen Todes mit nur 23 Jahren nicht vollenden können.
Wie es ausgehen würde, hatte er aber schon entschieden. Woyzeck tötet Marie aus Frustration. Woyzeck, der von allen immer nur ausgenutzt und gedemütigt worden ist, kann die Untreue Maries nicht verzeihen. Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Woyzeck ist der Urtyp des Sozialdramas. Das macht das Stück bis heute zu einem der meistgespielten Klassiker der Moderne. Dem Theater Lindenhof gelingt es, Woyzeck geschickt in die Gegenwart zu übertragen.
Regisseurin Edith Ehrhardt zeichnet das Bild eines sich in Verschwörungstheorien verzettelnden Subjekts, wie es auch auf sich radikalisierende Islamisten oder Rechtsextremisten zutreffen kann. Ein Opfer wird zum Täter und Marie wird von Woyzeck zum Opfer gemacht.
Einen großen Anteil am Gelingen der Inszenierung hat Theaterkomponistin Julia Klomfaß, die mit viel Rhythmik und sphärischen Klängen das Drama mit einem spannenden und klanglich fesselnden Soundtrack unterlegt hat.
In ihrer komprimierten Inszenierung genügten der Regisseurin drei Schauspielende für die rund ein Dutzend Rollen. Bis auf Marie wurden alle Rollen von allen drei Darstellern alternierend gespielt. Die Entpersonalisierung verlagerte auch den Blick weg von der Person hin auf die Sache und die Verallgemeinerung. Nur Marie blieb als Figur im Fokus.
Woyzeck war die Premiere des Lindenhof-Theaters in Beverungen. Das 1981 gegründete Theater Lindenhof ist das erste Regionaltheater Deutschlands. Eine Gruppe Theater begeisterter junger Menschen das Gasthaus Lindenhof mit anliegender Scheune in der 960-Seelen-Gemeinde Melchingen auf der Schwäbischen Alb.
Aus dem Dorf-Theaterverein hat sich bis heute eine in ganz Baden-Württemberg bekannte Theaterinstitution entwickelt, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden ist. Für die Woyzeck-Inszenierung wurde die Bühne mit dem Monica-Bleibtreu-Preis der Privattheatertage Hamburg ausgezeichnet.
Im Theaterprogramm der Kulturgemeinschaft Beverungen geht es weiter am Donnerstag, 28. November, mit der Kriminalkomödie “Achtsam morden” nach dem Bestsellerroman von Karsten Dusse. In der Hauptrolle ist Martin Lindow zu sehen sein.
Karten und Infos gibt es online (kulturgemeinschaft-beverungen.de) und im Kulturbüro Beverungen. Tel. 0 52 73 - 392 223.